Die etwas andere Herkunft…

Ein Buch wie dieses habe ich noch nie gelesen. Und ich wusste auch nicht, wie gut es mir tun würde, so ein Buch zu lesen. Dann schickte mir die Redakteurin, für die ich ein Hörfunk-Feature zum Thema „Aufsteiger“ machte, ein Kapitel aus dem Buch. Ich las es, war beeindruckt und glücklich zugleich und bestellte mir sofort ein Exemplar von „Solidarisch gegen Klassismus“, herausgegeben von Francis Seeck und Brigitte Theißl im Unrast Verlag.

Dass es den Begriff „Klassismus“ gibt und was er bedeutet, das wusste ich schon dank der Publikationen von Andreas Kemper, der das Thema als einer der ersten aufgegriffen hat. Was Klassismus real bedeutet, habe ich am eigenen Leib erfahren. Als erstes und einziges „Arbeiterkind“ am Gymnasium. Und als vermutlich einziges an der Universität. Wobei mir nicht einmal diese Ehre gewährt wurde.

Ich hatte nämlich – leichtsinnig – einem meiner Genossen in der linken Gruppe, in der ich während des Studiums aktiv war, von meinen Eltern erzählt. Und meinen Großmüttern. Die waren beide Putzfrauen. Und geschieden. Und bettelarm. Meine Großmutter mütterlicherseits nahm aber noch zusätzliche Putzstellen an, damit meine Mutter eine Lehre machen durfte. Als erste und einzige in der gesamten Familie.

Mein Vater fuhr (mit dem Rad) für eine Bäckerei die frischen Semmeln für die Kunden im „Nobelviertel“ aus. Bis er eingezogen wurde. Nach dem Krieg und damit dem Ende des NS-Regimes bekam er eine Stelle in den Stadtwerken. Weil da Leute wussten, dass er ein Gegner der Nazis gewesen war. Fortan war er städtischer Angestellter und später sogar Beamter, ein enormer Aufstieg. – Der bloß viele Jahre lang mit einem extrem geringen Gehalt verbunden war. Anders gesagt: wir lebten in einer Substandardwohnung waren lange Zeit sehr arm.

All das erzählte ich – stolz – meinem Genossen. Der mir daraufhin erklärte, dass ich also gar nicht aus dem Proletariat stammte, sondern aus dem Kleinbürgertum. Als ich ihn fassungslos anstarrte, meinte er, nun ja, ursprünglich halt aus dem Lumpenproletariat.

Ich kann das inzwischen amüsiert erzählen. Geschämt habe ich mich ohnehin nie, dafür war ich zu stolz auf meine Eltern. Und liebte sie zu sehr. Und ich hatte großes Glück: Ich begegnete von klein auf Menschen, die mich inspirierten und förderten. In den Fächern, die ich auf dem Gymnasium liebte, hatte ich Lehrerinnen, die das zu schätzen wussten und mich unterstützten. Und ich wuchs in genau der richtigen Zeit auf, sprich: mit den Rolling Stones, den Doors, Bob Dylan, Janis Joplin, Joan Baez, mit den Büchern der Beat-Generation, mit einer Kunst-Avantgarde, die ihre Vernissagen in einer Galerie veranstaltete, die direkt neben meinem Stammcafé lag. Und mit Marcuse und Adorno und Walter Benjamin.

An all dem konnte ich teilhaben, mich als Avantgarde fühlen, als Revolutionärin… Aber meine beste Freundin kam aus demselben Viertel wie ich. Und wenn meine Genossinnen und Genossen nach unseren Treffen noch zum Italiener gingen, ging ich nachhause. Weil ich mir das nicht hätte leisten können. Und meine coolen Klamotten habe ich mir allesamt geklaut. All das kann ich nun, in meinem Alter, gelassen erzählen. Ich treffe aber, wenn es um Herkunft und Armut geht, kaum je auf Menschen, die sagen: „Oh, ja, kenn ich!“ Meine alten Freundinnen und Freunde leben weit entfernt oder sind tot. Und meine Freundinnen und Freunde hier in Deutschland kommen fast alle aus der Mittelschicht.

Und nun dieses Buch. In dem kluge Menschen erzählen, was es heißt, von Klassismus betroffen zu sein. Was es heißt, aus armen Verhältnissen zu kommen und sich in der Welt der bürgerlichen Ober- und Mittelschicht zu bewegen – mit dem Gefühl, sich ständig bewähren zu müssen: In der Schule, an der Uni, im Beruf und auch in politischen Zusammenhängen, linken, feministischen, anti-rassistischen, akademischen. Die klug, differenziert und kompetent über all das berichten, es analysieren – und das immer gut lesbar.

Anders gesagt: Dieses Buch ist eine Bereicherung für Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon hier die Rede ist. Und für alle, die zu diesem Thema – fundiert und aus erster Hand – etwas erfahren wollen.

Ingrid Strobl

Solidarisch gegen Klassismus, herausgegeben von Francis Seeck und Brigitte Theißl, Unrast Verlag,16,00 Euro

SORRY!!!!!

Ich habe gerade auf meiner Blog-Seite die Kommentare gelesen, die da seit Jahren eingelangt sind. Und bin sehr erschrocken. Da gibt es Anfragen, die ich gerne beantwortet hätte und sehr freundliche Kommentare zu meinen Blogs, über die ich mich freue. Aber all diese Menschen habe nie eine Antwort von mir erhalten. Weil ich, nachdem ich einen Blog gepostet habe, nie nachgesehen habe, ob es Reaktionen darauf gibt.
Sorry an alle, die sich – zu Recht – darüber geärgert haben!
Und herzliche Grüße!
Ingrid Strobl

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Kann das weg?

Umziehen ist grausam. Zumal, wenn man 24 Jahre in derselben Wohnung gelebt hat. Was auch heißt: Es hat sich mehr angehäuft als man je geahnt hätte. Früher war ich eine Sammlerin. Inzwischen bin ich zur Wegwerferin mutiert. Ich dachte, das käme mir beim Packen zugute: Wie schön, mal auszumisten! Aber…

Da sind neben all dem, das man gerne entsorgt, all die kleinen und manchmal auch größeren Sachen, die einem liebe Menschen geschenkt haben. Geliebte Menschen. Da ist die Stola, die mir meine Mutter gehäkelt hat. Die kleine japanische Vase, die sie mir im Asienladen in Innsbruck gekauft hat, der hatte gerade eröffnet, und sie wusste oder dachte, als Hippie stehe ich auf so „exotisches Zeug“. Mir kommen die Tränen, wenn ich mich an die Situation erinnere. An ihr Gesicht, die Freude darin über die gelungene Überraschung.

Da sind Bilder, die mein Vater gemalt hat, bevor er zu einem richtigen Künstler wurde. Diese Bilder sind schön, aber ich habe sie mir nie an die Wände gehängt. Im Gegensatz zu seinen wunderbaren späteren Werken.

Da ist ein kleines Porzellanherz, das mir mein Liebster geschenkt hast, als wir ganz frisch verliebt waren. Da ist ein Katzenbild, das meine – letztes Jahr verstorbene – älteste Freundin mir mitgebracht hat, als sie mich zuletzt in Köln besuchte.

Da ist eine Halskette, die Meir, Chaika Grossmans Mann mir nach ihrem Tod schenkte, die ich nie getragen habe, aber Chaika ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen. Ist es immer noch.

Diese Dinge sind nur ein paar wenige Beispiel für sehr viele andere Dinge, die auch eine Geschichte von Liebe und Freundschaft haben, die von Menschen stammen und mich an Menschen erinnern, die in meinem Leben eine wichtige Rollen spielen und gespielt haben. Die in meinem Herzen leben und weiterleben.

Kann man so etwas wegwerfen?

Kann ich so etwas wegwerfen?

Mit ein paar Sachen habe ich es gemacht. Habe sie geküsst und dann mit geschlossenen Augen in die Mülltüte geworfen. Es hat weh getan. War aber auch erleichternd. Mit anderen gelingt mir das nicht. Da will ich auch nicht, dass es mir je gelingen könnte.

Ist das sentimental? Mache ich Liebe an Dingen fest? Das klingt vernünftig, einsichtig, erhaben. Aber ich empfinde es anders: Indem ich diese Dinge „entsorge“, verletze ich die Menschen, die sie für mich ausgesucht, angefertigt, mir geschenkt haben, um mir eine Freude zu machen, mit etwas Gutes zu tun. Weise ich diese Menschen  zurück, erkläre ihre Geschenke für wertlos. Denn nur Wertloses wirft man auf den Müll.

Und dann stehe ich vor der Kommode und den Bücherregalen, auf denen ich viele dieser Dinge platziert habe und würde am liebsten alles, oder fast alles wegräumen, einpacken, weg… wegwerfen? Sie nehmen mir die Luft, stellen alles zu.

Also, was jetzt? Ich weiß es nicht.

Kopftuch und Slip

Als ich für mein Buch über die Prostituierten auf dem Kölner Drogenstrich recherchierte, sprach ich jeden Abend mit Frauen, die dünne schwarze Strumpfhosen trugen und darüber extra kurze Shorts. Für die Frauen war das ihre Arbeitskleidung. Im Privatleben trugen sie normale Röcke oder Jeans.

Wenn ich heute die Straße entlang gehe, könnte ich meinen, der Strich habe sich verlagert. Hat er aber nicht. Die vermeintlichen Prostituierten sind Mädchen und junge Frauen, die in Shorts herumlaufen, die aussehen wie Slips und über, je nach Jahreszeit, nackten Beinen oder mehr oder weniger dünnen schwarzen Strumpfhosen getragen werden. Der „Rest“ dieser Mädchen und Frauen aber, vom Gesichtsausdruck bis zu den Turnschuhen, erweckt eher den Eindruck, sie hätten vergessen, sich morgens die Hose oder den Rock anzuziehen. Doch auch dieser Eindruck ist meistens falsch. Richtig ist offenbar: diese Mädchen und Frauen finden ihr Styling cool. Oder sie denken zumindest, sie müssten es cool finden. Sie müssten sich sexy stylen.

Und ich frage mich, warum sie das denken. Warum sie meinen, sie müssten sich, ohne Not, der Umwelt und damit eben auch der Männerwelt präsentieren wie Frauen, die in dieser Aufmachung ihr Geld verdienen müssen. Dieselben jungen Frauen und ihre Mütter sind aber durchaus imstande, sich endlos darüber aufzuregen, dass muslimische Frauen ein Kopftuch tragen.

Und auch Frauen, die keine Slips auf der Straße tragen, und die im Traum nicht daran denken, das zu tun, Feministinnen zum Beispiel, aber nicht nur Feministinnen, regen sich gerne über das Kopftuch auf. Es ist ein Signal der Unterwerfung, sagen sie. Es bedeutet: Frauen haben sich zu verhüllen, damit Männer nicht in Versuchung geraten. Was nach der ursprünglichen religiösen Sichtweise und der Auffassung vieler Muslime wohl auch zutrifft. (Meine Freundin Semiha allerdings trägt das Kopftuch aus was weiß ich für Gründen, aber ganz sicher nicht, um Männern ihre Unterwerfung zu signalisieren. Und da ist sie nicht die einzige. Aber das jetzt mal beiseite.)

Was mich so erstaunt, ist, dass viele Frauen und auch Medien, die sich über das Kopftuch als Instrument der Unterdrückung von Frauen echauffieren, sich kaum darüber aufregen, dass junge Frauen sich präsentieren wie Prostituierte bei der Arbeit. Und damit gleichfalls und noch sehr viel deutlicher und eindeutiger ihre Unterwerfung signalisieren: Ich stehe zur Verfügung! Und zwar auch dann, wenn sie das gar nicht meinen und entsetzt wären, würde ein Mann es so interpretieren.

Das sexy Styling und oft auch das Kopftuch laufen aktuell bei jungen Frauen unter dem Aspekt Mode. Junge selbstbewusste muslimische Frauen tragen Kopftücher in todschicken Varianten, und selbstbewusste nichtmuslimische Studentinnen stylen sich wie für den Straßenstrich, weil das eine wie das andere gerade angesagt ist. Was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass beides, das Verhüllen des Haars einer Frau (egal, in welcher Religion), wie auch die Enthüllung bestimmter Körperpartien Signale der Unterwerfung sind. Die nicht wenige Männer auch ganz direkt als solche interpretieren.

Und ich frage mich, warum junge Frauen heute meinen, sie müssten sich als Sexobjekte präsentieren. Warum das als normal gilt. Warum offenbar viele, nicht nur junge, Frauen nicht begreifen, dass das für das Selbstbild von Frauen und für das Bild, das Männer sich von Frauen machen, mindestens so fatal, wenn nicht noch fataler ist, als das Tragen eines Kopftuchs. Und ich würde mir wünschen, dass Frauen und Mädchen, die für sich selbst das eine wie das andere ablehnen, ihre Stimme zu beiden Themen erheben.

Ein Dankeschön an die Bücherei

Liebe Buchhändler/innen, bitte mal weghören beziehungsweise schauen! Ich liebe Buchhandlungen, die kleinen, engagierten, mit dem guten Programm und der guten Beratung. Aber ich wäre vermutlich nicht ganz die, die ich bin, wenn es keine öffentlichen Bibliotheken gäbe.

Wir waren arm, als ich ein Kind war, richtig arm. Unsere Wohnung war das, was man Substandard nennt, wir hatten kein Badezimmer, kein warmes Wasser und schon gar nicht so etwas wie eine Waschmaschine. Aber wir hatten Bücher. Meine beiden Eltern waren Leseratten, und sie haben diese Leidenschaft an mich weiter gegeben.

Einige der Bücher besaßen wir selbst: Werke von Charles Dickens, Raymond Chandler, Joseph Conrad, Jack London, Daniel Defoe, Karl May, Friedrich Schiller… Dazu kamen die Bände aus der „Büchergilde“, dem Buchclub der Gewerkschaft. Mein Onkel war als Gewerkschafter auch in der Büchergilde engagiert und brachte uns viermal im Jahr die Bände, die wir uns zuvor im Katalog ausgesucht hatten: Ein Kinderbuch für mich, und ein Erwachsenenbuch für die Eltern.

Dieser feine aber kleine Bestand an Literatur reichte aber natürlich nicht für unseren Lesehunger. Also gingen wir in die Stadtbücherei, die Rettungsinsel für alle, die gerne lasen aber kein Geld für den Erwerb von Büchern hatten. Einmal pro Woche fuhren meine Mutter und ich in die Stadt (gemeint war damit die Innsbrucker Innenstadt), stiegen an der Haltstelle Maria-Theresien-Straße aus, gingen ein paar Meter weiter zum Taxis-Palais, dort bis ganz hinten durch und betraten das Paradies. Ich weiß nicht mehr, ob wir zwei oder drei Bände pro Nase mitnehmen durften, ich weiß nur, dass ich schon vor dem nächsten Besuch wieder auf dem Trockenen saß.

Später fuhr ich alleine hin. Irgendwann sprach mich die Bibliothekarin an, als „Stammkundin“ sozusagen. Sie wollte wissen, wie ich dieses und jenes Buch gefunden hatte. Ich erzählte es ihr, erst schüchtern und ein wenig ängstlich, dann immer freier und selbstbewusster. Sie hörte mir zu und nahm ernst, was ich sagte. Ihr verdanke ich vermutlich, dass ich ich nicht nur Autorin sondern auch Rezensentin wurde.

Heute gehe ich nicht mehr so häufig in die Bücherei, aber wenn ich dort bin, empfinde ich immer wieder Dankbarkeit dafür, dass es so etwas gibt. Was heute gar nicht mehr so selbstverständlich ist. Und dabei so dringend nötig. Ich wünsche mir, dass es überall, in jeder Stadt, auch in der kleinsten und entlegensten, eine Bücherei gibt. Dass Kinder ermutigt werden, hinzugehen. Dass Lehrerinnen und Lehrer schon in der Grundschule mit den Kindern Ausflüge in die örtliche Bibliothek machen, ihnen zeigen, was es da gibt, und wie man sich anmeldet und wie man dort schöne und spannende Bücher findet.

Und ich wünsche mir, dass auch Lehrerinnen und Lehrer an Hauptschulen und Fördererschulen das mit ihren Schülerinnen und Schülern machen, ihnen vermitteln, wie gut es tut, zu lesen, dass es überhaupt nicht schwierig ist, an Bücher zu kommen, und dass man dafür keine reichen Eltern braucht.

Was Feminismus „damals“ wirklich war

Der „alte“ Feminismus, lese ich neuerdings, war beschränkt, männerfeindlich und wollte nur erreichen, dass Frauen Karriere machen. Wie bitte? Was Feminismus in den Siebzigerjahren wollte und bedeutete, können alle, die es gerne wirklich wüssten, nachlesen in meinem Text „Sisterhood oder: Wir kommen von weit, weit her“. (Der Text erscheint im Herbst in dem Band ZÜNDENDE FUNKEN Wiener Feministinnen der 70erjahre.) Und den ich hier schon mal vorab veröffentliche:

Sisterhood oder: Wir kommen von weit, weit her…

Am Beginn der Neuen Frauenbewegung stand für viele von uns: Wut. Eine lang angestaute, und nun nicht mehr zu bändigende Wut über all die Ungerechtigkeiten, mit denen wir uns nicht mehr abfinden wollten. In diesen ersten Anfängen dominierte das „Nein!“ Nein! zur angeblichen Überlegenheit der Männer und Unterlegenheit der Frauen. Nein! zur herkömmlichen Ehe mit allen Nachteilen für Frauen und Vorteilen für Männer. Nein! zum gesellschaftlichen Druck, überhaupt zu heiraten, Kinder zu bekommen, für die Familie den Beruf aufzugeben und ein Hausfrauenleben zu führen. Nein! zu dem Recht der Männer auf sexuelle Belästigung und Erniedrigung von Frauen. Nein! zum Ausschluss von Frauen aus unzähligen Berufen und Bereichen der Gesellschaft. Und Nein! dazu, dass all das angeblich von der Natur so vorgesehen ist.

Die Nein!-Phase hielt lange an und diverse Neins! waren – und sind – auch noch Jahrzehnte später nötig. Doch nach einer Weile ertönten die ersten zögerlichen und dann zunehmend begeisterten Jas: Ja zur eigenen Entscheidung! Ja zu den eigenen Lebensentwürfen jenseits von Hausfrau und Mutter! Ja zu unseren Fähigkeiten und Kompetenzen! Ja zur Solidarität und Freundschaft mit anderen Frauen! Ja zu unserer vollen Gleichberechtigung auf allen gesellschaftlichen und privaten Ebenen! Ja zu einer Sexualität, die uns befriedigt und nicht benutzt oder gelangweilt zurücklässt. Ja zu unserer Bewegung, unserer Revolution, zur Neuen Frauenbewegung!

Sisterhood nannten das die Amerikanerinnen: Schwesterlichkeit. In Anlehnung an den Begriff Brotherhood, den die Bürgerrechts- und die Black Power Bewegung programmatisch für sich in Anspruch genommen hatten. Brotherhood, Brüderlichkeit bedeutete: Wir Schwarzen sind Brüder und stehen wie Brüder zusammen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, die eine Geschichte der rassistischen Unterdrückung und Ausbeutung ist, aber auch eine Geschichte der Gegenwehr und einer autonomen Kultur. (Wo die Sisters im Zusammenhang von Brotherhood blieben, ist ein eigenes Kapitel, mit dem sich schwarze Frauen klug, wütend und verletzt auseinandersetzten.)

Diese Vision von Sisterhood der amerikanischen Feministinnen, die schließlich auch in Wien ankam, wirkte wie ein Zauberspruch, der den Bannstrahl des Selbsthasses brach. Frauen sahen sich damals in erster Linie als Konkurrentinnen. Und so wurden sie auch dargestellt, in Filmen, in der Literatur, in den Fortsetzungsromanen der Frauenzeitschriften: Frauen nahmen einander die Männer weg. Frauen intrigierten gegeneinander. Frauen machten andere Frauen nieder, spotteten über ihre Frisur, ihre Kleidung, denunzierten sie als Flittchen, als schlechte Hausfrau, als Rabenmutter. Niemand war grausamer als eine Frau in der Beurteilung einer anderen Frau.

Und obwohl so viele Frauen eine beste Freundin hatten oder auch mehrere Freundinnen, obwohl Schwestern, Schwägerinnen, Nachbarinnen einander aushalfen mit Dingen und Ratschlägen und Kinder-hüten: Fast alle glaubten das Märchen von der Frau als der größten Feindin der Frau. Wobei es nicht nur ein Märchen war. Es gab (und gibt) tatsächlich solche Frauen. Aber es gibt – und gab – eben auch all die anderen. Das wurde zwar privat so erlebt, aber in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Und niemand dachte darüber nach, warum Frauen anderen Frauen misstrauten oder sie herabsetzten.

Und da war noch ein Problem, das entscheidende vermutlich, das das Fehlen von Sisterhood mit erklärt: Frauen dachten, sie seien grundsätzlich von Männern abhängig. Und oft war es ja auch so. Wollte eine verheiratete Frau damals arbeiten gehen, brauchte sie die Erlaubnis ihres Ehemanns. Bekam sie unverheiratet ein Kind, wurde ihr das Sorgerecht verweigert. In jedem Fall wurde den Angehörigen des weiblichen Geschlechts von klein auf beigebracht: Du musst dir einen Mann suchen, der dich und deine Kinder ernähren kann. Und: du darfst dir den auf keinen Fall von einer anderen wegschnappen lassen! Und: Deine Loyalität muss immer dem Mann gelten, egal, was er tut und wie er dich behandelt.

Erst kam also der Mann. Dann kamen die Kinder. Dann ganz lange gar nichts. Und dann erst die eigene Verwandtschaft, Freundinnen und Kolleginnen (sofern frau berufstätig war und welche hatte).

Viele unserer Mütter hatten diese „Selbstverständlichkeiten“ akzeptiert und sich den Regeln unterworfen. Nach dem Motto: „So ist eben das Leben“. Schon gar das einer verheirateten Frau. Gleichzeitig aber hatten sie während des Krieges, als die Männer „im Feld“ waren, rundum ihre Frau gestanden – mit Hilfe anderer Frauen. Erst mit der Rückkehr der Männer kehrten auch die alte Rollenteilung und die absolute Priorität des Ehemannes zurück. Und nur wenige Frauen widersprachen. (Warum das so war, ist noch immer nicht ausreichend erforscht. Deshalb lasse ich die Frage hier unbeantwortet. Gehe aber davon aus, dass, neben Erschöpfung, auch die Sehnsucht nach „Normalität“ eine Rolle spielte.)

Als ich für mein Buch über „Töchter und der Tod der Mutter“ recherchierte, Jahrzehnte nach meinem Aufbruch als Feministin, fand ich zu meinem großen Erstaunen heraus: Nicht alle Frauen der Kriegsgeneration waren so traditionell wie ich gedacht hatte – und wie sie selbst sich gegeben hatten. Sie fügten sich zwar in die Rolle, litten aber ihr Leben lang darunter. Interviewpartnerinnen, die in etwa in meinem Alter waren, erzählten mir, ihre Mütter seien hart, lieblos und verbittert gewesen. Verbittert darüber, dass sie – trotz Berufsausbildung oder Studium – spätestens nach der Geburt des ersten Kindes zu einem Dasein als Hausfrau und Mutter verdammt waren.

Und diese Mütter hätten ihnen, den Töchtern, einen fatalen Double-bind verpasst: Du musst – einerseits – ein richtiges Mädchen sein (mit Schleifchen, Kleidchen, Knickschen) und eine richtige Frau werden (mit Mann und Kindern). Sieh aber – andererseits – zu, dass du einen Beruf erlernst oder studierst, und dass du deinen Beruf dann auch ausübst, damit du nie, nie, nie von einem Mann abhängig bist! Heute, nach dieser Erkenntnis, ahne ich, dass einige der Frauen, mit denen ich in der Frauenbewegung aktiv war, genau solche Mütter hatten.

Aber zurück zu den Anfängen der Frauenbewegung. Meinen Anfängen als Feministin. Der Anfang war ein Versammlungsraum im Wiener ersten Bezirk. Da, hörte ich irgendwie von irgendwem, trafen sich Frauen, die sich als Frauen organisieren wollten. „Nichts wie hin!“, dachte ich.

Aber war das der Anfang? Nein, der war früher. Der Anfang war ein Abend im Jahr 1970[1] in Innsbruck. Genauer gesagt: im Vereinslokal der Innsbrucker „Basis-Gruppe“, einer Organisation der undogmatischen Linken (nach dem Austritt aus dem VSSTÖ).  An diesem Abend hing ein Flugblatt an der Wand, das Genossinnen dort platziert hatten. Heute ist dieses Flugblatt des Frankfurter Weiberrats von 1968 Legende. Damals war es eine ganz ungeheure Provokation. Es zeigt eine Frau, die, lediglich mit einem Hut bekleidet, auf dem Sofa liegt. In der Hand ein Beil. Über ihr an der Wand hängen – wie Jagdtrophäen – die Penisse von sechs bekannten Aktivisten der Studentenbewegung. Die Überschrift lautet:  „Rechenschaftsbericht des Weiberrats der Gruppe Frankfurt“. Die Parole: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen“.

Wir Frauen fanden das ziemlich komisch, was die Genossen zutiefst  verletzte. Einer drohte sogar, in den Inn zu gehen. Seine Freundin ging ihm zur Sicherheit hinterher (nicht ins Wasser sondern nur bis ans Ufer) und machte wieder kehrt, als klar war: Er wird´s nicht tun. Eine eigene Frauengruppe brachten wir damals nicht zustande. Aber ich war sozusagen infiziert.

Oder besser gesagt: Etwas, das in mir ohnehin schon da war, wurde wiederbelebt. Ich wollte nämlich als Mädchen Indianerhäuptling werden. Bis mir ein Spielkamerad, dessen Federschmuck viel weniger Federn hatte als meiner, erklärte: „Frauen können nicht Häuptling werden. Nur Squaw!“ Und, hatte er dann noch daraufgesetzt: „Squaws dürfen gar keinen Federschmuck tragen!“ Diese mir völlig unverständliche Ungerechtigkeit revoltiere mich. Denn den Federschmuck hatte mir mein Vater gebastelt. Und meine Mutter hatte mich dazu erzogen, ein selbständiger unabhängiger Mensch zu werden. Somit war ich also rundum prädestiniert für dieses Neue, das da 1972 in Wien entstehen sollte: Die Aktion Unabhängiger Frauen.

Die Frauen, die an diesem Donnerstagabend in dem rauchgeschwängerten Versammlungsraum saßen, und die Frauen, die dann rasch eine nach der andern dazu kamen, waren ein bunt gemischter Haufen. Studentinnen und Berufstätige, verheiratet und alleinstehend, heterosexuell und lesbisch, Mütter und Kinderlose. Gestandene Linke und Frauen, die, wie ich selbst, Erfahrungen in der undogmatischen Linken gesammelt hatten, aber eher der Fraktion Sex ´n` Drugs `n `Rock&Roll angehörten. Wobei das mit dem Sex so eine Sache war…

Sex war in den Sechzigerjahren untrennbar verbunden mit der Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. Die damals katastrophale Folgen für Mädchen und unverheiratete Frauen hatte. Und auch viele Ehefrauen riskierten lieber eine lebensgefährliche illegale Abtreibung, als noch ein weiteres, ungeplantes, Kind zu bekommen.

Und so forderte die Neue Frauenbewegung – noch bevor sie das Thema Sex direkt anging – die Abschaffung des Abtreibungs-Paragraphen. Mit dem Kampf um die Legalisierung der Abtreibung, der Anfang der Siebzigerjahre in fast allen westeuropäischen Staaten und den USA begann, sprachen wir Millionen Frauen an – und wurden so zeitweise zu einer Massenbewegung.

Anfang der Sechzigerjahre kam die Antibabypille auf den Markt. Aber eine junge Frau, die weder verheiratet noch volljährig war, konnte nur mithilfe von Tipps und Tricks an ein Rezept gelangen. Wenn es ihr gelang, verschaffte ihr die Pille eine bis dahin nicht gekannte Freiheit: Sie ermöglichte es ihr, die Verhütung in die eigene Hand zu nehmen und angstfrei Sex zu haben.

Doch auch die neue Freiheit führte nicht immer zu einem Lustgewinn. Viele Männer, einschließlich vieler Anhänger der „Sexuellen Revolution“, verstanden unter Sex: Rammeln. Konkret: Ein schlichtes und schnelles Rein-Raus, das Frauen zutiefst unbefriedigt zurück ließ. Heute werden Feministinnen gerne als verklemmt und lustfeindlich gesehen. Doch als lustfeindlich hatten sich de facto die meisten Männer erwiesen: als feindlich gegenüber der weiblichen Lust.  Als wir Frauen uns endlich die Freiheit nahmen, unsere sexuellen Bedürfnisse zu erkunden und einzufordern, wurde Sex zu einer lustvollen und beglückenden Angelegenheit. Für beide Beteiligten.

Gleichzeitig wurden der Kampf um die Legalisierung der Abtreibung, die praktische Hilfe, die wir relativ bald für ungewollt schwangere Frauen organisierten, und vor allem das – erst zögerliche, dann zunehmend offene – miteinander reden über unsere sexuellen Erfahrungen zur einer Ausgangsbasis für unsere Erfahrung von Sisterhood.

Unsere politische Arbeit im klassischen Sinne war damals weitgehend geprägt vom Nein!. „Weg mit dem Paragrafen 144!“ riefen wir auf den Demos, wir waren gegen das Abtreibungsverbot. Aber wir liefen auf den Demos zusammen über den Ring, wir hatten sie zusammen vorbereitet. Wir hatten zusammen die Flugblätter formuliert, diskutiert, getippt und auf Matrizen abgezogen (für jüngere Leser/innen: PCs gar es noch nicht).

Wir erlebten: Frauen können gemeinsam etwas initiieren, organisieren, durchführen. Und das macht auch noch Spaß! Wir brauchen keine Männer, um eine Demonstration, eine Aktion, ein Teach-in, eine Kundgebung erfolgreich hinzukriegen. Wir können das alles selber. Anders gesagt: Frauen sind klug, mutig, Organisationstalente, Formulierungskünstlerinnen, streitbar  – und humorvoll! Wir kletterten nachts heimlich auf das große Maria-Theresien-Denkmal auf dem Burgring und hängten ihr, die bekanntlich 16 Kinder geboren hatte, ein Plakat gegen den Abtreibungsparagrafen um den Hals.

Die Wut hatte uns zusammengebracht. Die Erfahrung von Sisterhood hielt uns zusammen und inspirierte unsere Arbeit. Unsere Wut galt all den Benachteiligungen und Herabsetzungen, die wir erfuhren. Unsere Begeisterung jedoch entzündete sich an unseren neu entdeckten Fähigkeiten und Ressourcen und an der Freude, mit anderen Frauen zusammen zu sein und etwas zusammen zu unternehmen. Während Simone de Beauvoir in Das andere Geschlecht Frauen noch als wehrlose, männlicher Macht ausgelieferte Opfer darstellt, entdeckten wir als „Täterinnen“, als Frauen, die aktiv für ihre Rechte kämpften, all die Stärken, über die wir verfügten.

Wir lernten einander zu schätzen, zu respektieren, anzuerkennen. Und indem wir einander schätzen lernten, lernte jede einzelne, auch sich selbst zu schätzen. Indem wir begannen, uns selbst als vollwertige menschliche Wesen zu respektieren, begannen wir auch andere Frauen zu respektieren. Was Weiblichkeit bedeutet, wollten wir nun selbst bestimmen.

Wir durchforsteten Geschichtsbücher, Archive, Bibliotheken nach Frauen, die in der Vergangenheit ihre Frau gestanden und etwas Ungewöhnliches vollbracht hatten. Entdeckten Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Komponistinnen, Philosophinnen, Wissenschaftlerinnen, Revolutionärinnen, die von der männlichen Historiografie an den Rand gestellt und dem Vergessen überlassen worden waren. In der Bundesrepublik gründeten Feministinnen Frauenverlage, Frauenbuchläden, Frauengalerien, Frauenbands, feministische Zeitschriften. Wir in Wien hatten unser Zentrum, die Zeitschrift AUF und schließlich auch den Frauenbuchladen in der Lange Gasse.

Wir waren aber nicht nur Aktivistinnen, und es war nicht nur die klassische politische Arbeit, die uns voranbrachte auf unserer Reise zu Selbstbestimmung und Frauen-Power. Wie die Vision von Sisterhood kamen auch die CR-Gruppen (Consciousness Raising = Selbsterfahrungs-Gruppen) aus den USA. Sie stießen hierzulande nicht auf einhellige Begeisterung, es gab Frauen, die sie als „völlig unpolitische Selbstbespiegelung“ oder gar als „esoterisch“ ablehnten. Andere, darunter auch ich selbst, sahen darin eine Bereicherung und Vertiefung unseres Engagements als und für Frauen. Nicht zufällig lautete der Slogan der Neuen Frauenbewegung “Das Private ist politisch“. Und was das hieß, das begriff ich erst wirklich in der CR-Gruppe, die wir in Wien ins Leben riefen.

Da saßen wir politischen Kämpferinnen und sprachen über unsere Mütter. Über unsere erste Regel. Unser „Erstes Mal“. Über Vergewaltigungen und darüber, dass wir uns selbst schuldig fühlten – „Habe ich ihm einen falschen Eindruck vermittelt? Hätte ich nicht mit ihm mit gehen dürfen“… Wir sprachen über Minderwertigkeitsgefühle, die Angst öffentlich zur reden, und sei es nur vor einer kleinen Gruppe, die Verletzungen, die männliche Arroganz in uns auslöste, und, und, und…Wir sprachen über Dinge, die wir höchstens der besten Freundin erzählt hatten. Oder nicht einmal ihr. Wir sprachen über unsere Beziehungen, über Sex…

Diese Gruppensitzungen hatten beträchtliche Folgen. Frauen trennten sich von ihren Männern. Oder handelten die Beziehung neu aus. Erforschten ihre sexuellen Bedürfnisse. Hörten auf, im Bett Theater zu spielen. Oder gestanden sich ihre Liebe zu Frauen ein und zu. Redeten erstmals offen mit ihrer Mutter. Überdachten ihre beruflichen und familiären Entscheidungen neu…

Ich bin mir auch sicher, dass einige der wichtigsten feministischen Erkenntnisse auf den Gesprächen in diesen und ähnlichen Gruppen basieren. Hier konnten wir erkennen, dass unsere Benachteiligung und Herabwürdigung als Frauen nicht nur auf der Macht und dem Ausbeutungsinteresse „der Männer“ oder „des Patriarchats“ beruhten. Sondern auch auf der Verinnerlichung des Patriarchats, seiner Dogmen und Regeln durch Frauen. Dass viele Frauen ihre Herabwürdigung und Verdinglichung – wie unbewusst auch immer – internalisiert hatten. Später, als die ersten Häuser für geschlagene Frauen gegründet wurden, machten die Feministinnen, die sie initiiert hatten und nun darin arbeiteten eine bittere und desillusionierende Feststellung: Frauen, die mit schwersten Verletzungen bei ihnen Zuflucht suchten, kehrten später zu den Männern zurück, die ihnen diese Verletzungen – wiederholt – zugefügt hatten.

Warum das so war, versuchten feministische Psychologinnen, Therapeutinnen und Sozialpädagoginnen herauszufinden. Doch wir ahnten schon damals auf Grund unserer offenen Gespräche in den CR-Gruppen: Die negativen Auswirkungen einer „weiblichen“ Sozialisierung über zig Generationen sind uns unter die Haut gegangen. Und ehe wir uns davon nicht befreit haben, bietet uns die gesetzliche Gleichberechtigung nur die Möglichkeit zu einem gleichberechtigten selbstbestimmten Leben. Das ist schon sehr viel. Doch das Patriarchat unter unserer Haut hindert viele von uns daran, die Möglichkeit wirklich zu ergreifen und dauerhaft zu nutzen.

Wir waren so euphorisch und voller Hoffnung und Zuversicht in diesen ersten Jahren. Dann kamen die ersten Rückschläge und Enttäuschungen, die Einsicht, dass dieser Sprint sich zum Marathon auswächst, dass schon die rein politischen Erfolge so schwer zu erringen sind, und die tieferliegenden Probleme noch viel schwerer zu lösen sind. Es kamen Querelen, Abgrenzungen, Spaltungen, gegenseitige Diffamierungen… Wunden wurden geschlagen, die manchmal bis heute nicht geheilt sind. Und trotzdem: Ich weiß noch immer um den Zauber und die Power von Sisterhood.

Vor der Frauenbewegung dachte ich, starke, mutige, widerständige, rebellische Frauen wären die Ausnahme. Seit unserem Aufbruch, damals, Anfang der Siebzigerjahre sehe ich die Qualitäten von undendlich vielen Frauen, ihren Einfallsreichtum, ihre Kreativität, ihre Zähigkeit, ihren Mut, ihre Fähigkeit zu Freundschaft und Solidarität.

Ich sehe auch den Rollback, der uns gerade um Meilen zurück wirft. Die Mädchen und jungen Frauen, die sich halb oder auch ganz zu Tode hungern; die sich stylen wie Prostituierte bei der Arbeit, weil sie meinen, sie müssten sexy sein, um Anerkennung und Zuwendung zu finden; die Frauen, die ihren Körper als eine Endlos-Baustelle sehen, an der ständig etwas gemacht werden muss: Busen vergrößert, Haare wegrasiert, Falten weggeschnitten, Lippen aufgespritzt, Muskeln auf und Bauch abgebaut, Schamlippen „korrigiert“, Designervagina herbei operiert….

Und dann wird mir klar: Was waren wir Feministinnen aus der Generation der Achtundsechziger, der sexuellen Befreiung, des Summer of Love damals „unschuldig“ und zugleich selbstbewusst! Wir kämpften dagegen, als Sexobjekte wahrgenommen und behandelt zu werden. Und wären im Traum nicht drauf gekommen, uns die „Scham“haare zu rasieren oder gar die Vagina operieren zu lassen, um „sexy“ zu wirken.

Heute, vierzig Jahre nach unserem AUFbruch, bin ich glücklich und stolz, dass ich damals mitten drin war. Es war eine beglückende, aufregende, lebendige, inspirierende Zeit. Wir waren in Wien auch so privilegiert, hier lebten und arbeiteten gleich mehrere großartige Schriftstellerinnen, Friederike Mayröcker, Elfriede Jelinek, Elfriede Gerstl, Künstlerinnen wie Valie EXPORT, Musikerinnen wie Marie Therese Escribano, die Avantgarde war in Wien (auch) weiblich. Christiane Nöstlinger schrieb Kinderbücher, die quer zur Tradition standen, der linke Buchladen wurde von Brigitte Hermann geführt, in der Politik gab es Verbündete wie Johanna Dohnal… Diese Frauen liefen zwar nicht (alle) auf unseren Demos mit, aber sie waren da, sie zeigten: Das können Frauen!

Ich habe in diesen ersten AUF-Jahren miterlebt, wie Frauen mit Bravour gegen alle Regeln verstoßen und Neues erschaffen, wie Frauen sich aufeinander beziehen und aufeinander verlassen, wie Frauen sich zusammen tun, um die Welt zu verändern. Wie Frauen zusammen feiern, tanzen, lachen, sich amüsieren, diskutieren, streiten, einander wertschätzen, trösten, heilen, aus der Hölle holen und miteinander die gewagtesten Luftsprünge machen.

Das habe ich bis heute nicht vergessen. Es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, selbstverständlich geworden, denn es hat bestätigt, was ich schon als Mädchen wusste: Auch Squaws können Häuptling werden und einander mit den prächtigsten Federn schmücken.

Deshalb können all die späteren Zerwürfnisse unter Feministinnen und auch die Zählebigkeit der patriarchalen Strukturen die Erfahrungen nicht revidieren, die ich damals machte, und die Euphorie nicht zum Erlöschen bringen, in der wir (oder wenigstens viele von uns) damals lebten und handelten.

Copyright: Ingrid Strobl

[1] Ich glaube, es war 1970, es kann auch etwas früher oder später gewesen sein.

Geht es noch?

Das ist jetzt kein BLOG-Beitrag zum Thema Alt-werden. Das ist ein Beitrag zum Thema Habt-ihr-sie-noch-alle? Ich sehe Nachrichten und bekomme erklärt, wie toll die Entwicklung von selbstfahrenden Autos voranschreitet. Wie begeistert auf der letzten Messe Besucher Geräte bestaunten, mit denen sie vom Büro aus ihre Waschmaschine steuern und schon mal ihren Herd anstellen können. Pah! Schnee von gestern! Auf der neuesten Messe werden Waschmaschinen und Herde vorgeführt, die das alles schon selber können, die mit einander kommunizieren und den Haushalt schmeißen.

Dasselbe gibt es für noch viele andere Bereiche des täglichen Lebens. In der Industrieproduktion ist es teils schon Gang und Gäbe. Dito in der Landwirtschaft. Da fahren die Traktoren selbständig übers Feld, messen, wo zu wenig oder zu viel Düngemittel drin steckt, wo was nachwächst und wo nicht und säen und ernten nebenbei auch noch. Und vor allem, und das gilt nicht nur für Traktoren. Die Maschinen treffen alle Entscheidungen selbst.

Wäre das ein Film, ich würde nicht rein gehen, der Horror wäre mir zu groß. Der Mensch gibt freiwillig Entscheidungsprozesse an Maschinen beziehungsweise digitale Systeme ab, die er zwar programmieren kann, dann aber nicht mehr wirklich im Griff hat. Über deren autonome Entwicklungen er schon mal spekuliert aber noch nichts wirklich weiß. Maschinen an die Macht!

Wollen wir das? Was ist so schlimm daran, den Herd anzumachen, die Waschmaschine, die Heizung? Das ist weder Schwerarbeit noch eine besondere intellektuell Herausforderung. Es ist eine selbstbestimmte Handlung, mit der ich entscheide, was wann wie in meinem Haushalt passieren soll. Das tut mir nicht weh, das gehört zum Alltag, das gehört zu mir: Ich tue etwas, und das hat dann entsprechende Folgen. Ich mache den Herd an, setze den Topf drauf, stelle die Hitze ein, fahre sie wieder runter, wieder ein bisschen hoch… Das ist Kochen, das ist Alltag, das ist Leben.

„Die Kehrseite des Fortschritts ist Terror“ schrieb Peter Weiss vor zig Jahren, als es noch nicht mal ein Handy gab. Heute reden Menschen, die damit Geld verdienen wollen, anderen Menschen ein, sie müssten im Alltags nichts mehr tun und auch nichts mehr entscheiden, das könnten alles intelligente Programme erledigen. Und sie könnten sich im Auto seelenruhig mit ihrem Smartphone vergnügen, denn auch das Auto fährt sich selbst. Wenn es dann doch zu einem Unfall, womöglich mit Schwerverletzten oder Toten kommt, ist die einzig relevante Frage nicht die, „warum habe ich mich auf so etwas eingelassen?“ oder die „warum haben wir so etwas hergestellt!?“ sondern: „Wer kann dafür haftbar gemacht werden?“

Wollen wir das alles wirklich? Ich jedenfalls will es nicht. Und ich möchte auch nicht in einer Welt leben, in der die Menschen sich freiwillig selbst entmündigen und ihrer einfachsten Fähigkeiten und Handlungen berauben…

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Sexarbeit? Wo lebt ihr?

To whom it may concern: Ich soll ein Manifest unterschreiben, in dem es unter anderem heißt: „Als Feminist*innen lehnen wir sexistische und frauenfeindliche Formulierungen ab, nach denen Sexarbeiter*innen ´ihre Körper verkaufen´ oder ´sich verkaufen´. Die Andeutung, dass Sex Selbstaufgabe oder den Verlust von sich selbst oder eines Teiles von sich selbst bedeutet, ist zutiefst unfeministisch. Der Wert von Frauen wird durch Sex nicht reduziert.“

Die Verfasserinnen dieses Manifests verwechseln offenbar Sex mit Prostitution. Beziehungsweise umgekehrt. Nur so kann ich mir den Satz „Der Wert von Frauen wird durch Sex nicht reduziert“ erklären. Dieser Satz ist an sich völlig richtig. Und ich füge hinzu: Der Wert der Frau, die als Prostituierte arbeitet, wird durch ihre Arbeit nicht reduziert. Bloß: Sex mit Prostitution gleichzusetzen, das ist etwas völlig anderes. Nur zur Sicherheit, falls Ihnen, den Verfasser/inn/en dieses Manifestes, das wirklich nicht bewusst ist: Die Frau, die mit einem Freier einen sexuellen Akt vollzieht, wird davon weder sexuell erregt noch befriedigt. Prostitution (von Frauen) ist eine sexuelle Handlung zwischen dem, der nimmt und der, die gibt beziehungsweise ihren Körper  zur Verfügung stellt, weil sie dafür eine bestimmte Summe erhält. Wenn das die „feministische“ Interpretation von Sex sein soll, dann weiß ich nicht mehr, was Sie unter Feminismus verstehen.

Richtig ist: Frauen, die als Prostituierte arbeiten, verkaufen nicht sich selbst. Aber haben Sie schon einmal mit Frauen gesprochen, die anschaffen? Beziehungsweise mit denen, also der überwiegenden Mehrheit, die ihre Arbeit nicht ideologisieren, verharmlosen und glorifizieren? Sie werden ihnen sagen, was Prostitution ganz konkret heißt: Fremde Männer stecken ihren Schwanz, ihre Zunge, ihre Finger in alle Körperöffnungen der Frau. Sie waschen sich den Penis nicht, bevor sie einen Blow-Job verlangen, und sie wollen „alle immer ohne Gummi“. Oft wollen sie auch, dass die Frau ihre Ergüsse schluckt. Immer mehr wollen Anal-Sex, für den früher die wenigen Frauen, die dazu bereit waren, deutlich mehr Geld nahmen als für Verkehr. Und der, wenn es nach vielen Freiern geht, heute für sehr viel weniger Geld zum Programm gehören soll.

Was also verkaufen die Frauen, wenn nicht ihren Körper? Sie selbst empfinden es durchaus so, denn fast alle, mit denen ich gesprochen habe (und das sind eine Menge), schrubben sich nach der Arbeit noch nach Jahren ewig unter der Dusche ab.

Meine ersten Begegnungen und Gespräche mit Prostituierten hatte ich 1971, also vor mittlerweile gut 45 Jahren. Seither habe ich immer wieder mit Prostituierten gesprochen und ausführliche Interviews mit ihnen gemacht. Diese Frauen standen/stehen auf dem Straßenstrich, sie haben sich nicht zu etwas hoch gestylt, sie ertragen den „Job“ nur, weil sie keine andere Möglichkeit für sich sehen, und/oder weil sie gerade das Geld dringend brauchen, und/oder weil sie Angst vor ihrem Zuhälter haben, und/oder weil sie ihre Empfindungen mit diversen Tabletten/Drogen oder Alkohol  so weit wie möglich ausknipsen, oder weil sie heroinabhängig sind.

Und was den Rassismus betrifft: Fragen Sie mal nigerianische Frauen, warum sie anschaffen. Und wie gerne sie das tun. Oder eben nicht. Und wer sie dazu warum bringt. Oder gebracht hat.

Die Selbstdarstellung einzelner Prostituierter als Mädels, denen das Spaß macht, und die das total selbstbestimmt tun, hat verschiedene und oft sehr persönliche Gründe. Diese Behauptungen zu übernehmen und zu verallgemeinern aber, ist wahlweise naiv oder berechnend. Bordellbesitzer, Zuhälter und Freier freuen sich darüber. Bloß feministisch ist es nicht.

Noch ein Zitat aus Ihrem Manifest: „Die Verbreitung der Idee, dass die Kund*innen die Körper von Sexarbeitenden ´kauften` – und somit Sexarbeitenden antun könnten, was immer sie wollen – hat gefährliche und reale Folgen für das Leben von Sexarbeiter*innen.“

Nochmal: Sprechen Sie bitte mit ganz normalen Prostituierten. Lesen Sie, was auf Freier-Foren verbreitet wird. Lesen Sie die Service-Angebote von Bordellen. Surfen Sie mal kurz im Netz. Machen Sie die Augen auf. Dann werden Sie erkennen, dass nicht „die Idee, dass die Kund*innen die Körper von Sexarbeitenden ´kauften` – und somit Sexarbeitenden antun könnten, was immer sie wollen“ gefährliche und reale Folgen für das Leben von Prostituierten hat. Sondern dass Männer immer schon ihre sexuellen Gewaltphantasien an Prostituierten ausgelebt haben. Das gehört zum Geschäft.

Und dann schreiben Sie noch: „Sexarbeiter*innen gehörten zu den ersten Feminist*innen der Welt und unsere Gemeinschaft ist ohne sie unvollständig und geschwächt.“ Nein. Sorry. Is nich. Frauen, die tun, was Männer wollen, haben viele Gründe dafür. Aber Feministinnen sind sie deshalb nicht. Waren sie auch nie. Und unsere Gemeinschaft wäre sehr viel stärker, wenn Frauen nicht mehr als Prostituierte arbeiten würden/müssten und Männer sich nicht mehr einreden könnten, sie dürften für ein paar Euro in eine Frau eindringen. Und ihr für ein paar Euro mehr in den Mund pissen. Etc.

Ich bin in einem Punkt mit Ihnen einer Meinung: Ich lehne das „Skandinavische Modell“ ab, das den Kauf sexueller Handlungen für den Käufer unter Strafe stellt. Denn damit werden de facto die Frauen in die Illegalität gedrängt. Diese Gesetzesregelung zwingt sie, in klandestinen Häusern zu arbeiten, in denen sie sowohl den Betreibern dieser Häuser als auch den Freiern ausgeliefert sind. Was daran förderlich ein soll, kann ich nicht erkennen.

Was ich fordere, sind Arbeitsbedingungen, die den Frauen das Leben erleichtern. Vorschläge dafür gibt es schon lange, und auf der Geestemünder Straße in Köln kann frau sich anschauen, wie das für den Straßenstrich geht: Ein ausgeklügeltes und funktionierendes Alarmsystem, Platzverbot für Zuhälter, ein Rückzugsraum, sanitäre Anlagen, Ausgabe von Präservativen, bei Bedarf Beratung. Dazu müsste kommen: Bestimmte Bedingungen für das Betreiben eines Bordells; Verbote von Flat-Rates, Gang-Bangs und ähnlichen Praktiken; menschenwürdige sanitäre Verhältnisse; bezahlbare Zimmerpreise; etc.

Die Alternativen sind nicht Verbot oder Glorifizierung/Verharmlosung der Prostitution. Die Alternative ist erst mal ein im Sinne der dort arbeitenden Frauen funktionierender Pragmatismus.

Ansonsten träume ich weiter: Von einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichwertige Wesen sind und sich als solche begegnen. Von einer Gesellschaft, in der Männer nicht mehr meinen, sie hätten das Recht, sich Sex mit einer Frau zu kaufen. Und in der Frauen sich durch  nichts und niemanden gezwungen sehen, ihren Körper für die Benutzung durch Männer zur Verfügung zu stellen.

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Bargeld abschaffen? Dann mich bitte auch. Und Alte. Und Bettler…

Was sind das für Leute, die das Bargeld abschaffen wollen? Ich stelle sie mir als vergleichsweise jung vor und weltfremd und selbstbezogen bis zur Blindheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so jemand schon einmal einem Bettler Geld gegeben hat. Das ist aber mit ein ganz wesentlicher Grund, warum ich absolut gegen die Abschaffung des Bargelds bin: Was soll ich dann N., meinem „Stammbettler“ in den Kaffeebecher werfen?

Jetzt höre ich schon den Einwand: „Es ist ohnehin besser, diesen Leuten kein Geld zu schenken. Sie geben es ja doch nur Alkohol oder Drogen aus!“ Tja. Wer das sagt, weiß nicht, wie sich ein kalter Entzug anfühlt. Und dass ein kalter Entzug bei Alkohol sogar tödlich sein kann. Der oder die hat wohl auch keine reale Vorstellung davon, was es heißt, auf der Straße zu leben.

Ich stelle mir grade vor, wie ich zu N. sage: „Mensch, tut mir leid, jetzt wo es kein Bargeld mehr gibt… Du musst mir deine Bankverbindung geben, N. Deinen IBAN-Code und deinen BIC. Ich überweis dir dann ´n Euro, okay?“ Oder: „Tja, wenn du Schuhe brauchst… Brauchst du ja wirklich, ich seh das schon. Also Vorschlag: Du guckst, dass du vierzig Leute zusammenkriegst, die dir alle einen Euro überweisen. Dann kannst du dir von deiner Karte im Billigladen ein Paart Schuhe kaufen. „…

Nein, Stopp! Die ganz fortgeschrittenen unter den Bargeld-Abschaffungs-Apologeten wollen ja, dass man nicht mal mehr mit Karte bezahlt, sondern mit dem Smartphone. Da fällt mir jetzt kaum noch ein Szenario zu ein. Denn zum einen kann N. die meiste Zeit über sein Handy (zum Smartphone hat er es noch nicht gebracht) nicht benutzen. Weil er es verloren hat, oder weil es ihm gesperrt wurde, weil er wieder die Gebühr nicht bezahlt hat oder, oder… Zum anderen ist N. einfach zu alt, um das mit dem Einscannen und sonst noch was hinzukriegen. Das ist ja mir schon zu viel action. Und dann könnte das auch bös in die Hose gehen. Wenn nämlich N., x-mal vorbestraft wegen diverser Beschaffungs-Kriminalitäten, mit so einem Smartphone in einem Laden steht, an Schuhen oder Lebensmitteln rumfingert und  sich dabei ständig umguckt, in der Hoffnung, dass ihm einer hilft. Der Ladendetektiv würde das glatt anders verstehen.

Kurzum: Ich wünsche allen, die das Bargeld abschaffen wollen, dass sie mal in einer fremden Stadt ihr iPhone verlieren, ihnen jemand die Geldbörse mit allen Karten geklaut hat, und sie nicht wissen, wie sie jetzt in ihr Hotel kommen sollen. Und dann ein freundlicher Passant ihnen sagt: „Schade, früher hätte ich Ihnen ein paar Euro für ein Taxi geben können.“

Und das ist noch das freundlichste, was ich ihnen wünsche.

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Eiertanz

Eine der ersten Reaktionen der Polizei nach dem Bekanntwerden der sexuellen Angriffe am Kölner Hauptbahnhof war die Beteuerung: Das waren keine Flüchtlinge! Gut gemeint. Jetzt sagt die Polizei, sie habe in dieser Silvesternacht am Bahnhof bei circa 100 Männern eine Personenkontrolle durchgeführt. Und darunter seien auch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan gewesen. Und sofort kommt bei allen „Gutmeinenden“ die Angst auf: Jetzt hängen die Rechten das den Flüchtlingen an. Und geht der Eiertanz los: Halten wir zu den Frauen oder müssen wir in erster Linie die Flüchtlinge schützen?

Diese Problemstellung verkennt das Wesentliche: Es geht hier nicht darum, woher die Täter kommen. Es geht hier um männliche Gewalt. Es geht hier um die immer noch vorhandene Frauenverachtung auch in dieser Gesellschaft und schon gar in Gesellschaften, in denen Frauen keine Rechte haben und als dem Manne untertan gelten. Es geht hier um das, was Männer überall tun: Frauen misshandeln, erniedrigen, sexuell „belästigen“, vergewaltigen. Weil sie meinen, als Männer ein Recht darauf zu haben. (Und es gibt von Köln bis zum Hindukusch Männer, die Frauen wertschätzen und Vergewaltigung für genau das Verbrechen halten, das sie ist.)

Auf dem Münchner Oktoberfest geschah ähnliches wie jetzt in Köln. Die Täter: quietsch-weiß. Im Süd-Sudan vergewaltigen die Herren Krieger auf beiden Seiten nicht „nur“ erwachsene Frauen sondern auch bevorzugt kleine Mädchen. Und weiße UN-Soldaten tun exakt dasselbe. In Indien kreisen junge Männer Frauen ein und vergewaltigen sie mit einer Brutalität, die manche der Opfer umbringt. Frauen, die hierzulande auf dem Straßenstrich arbeiten, können ein Lied singen von dem Sadismus, zu dem deutsche wie nichtdeutsche Familienväter imstande sind. Frauen und Mädchen, die von den Helden des „IS“ so häufig und grausam vergewaltigt wurden, dass sie sich kaum noch bewegen können (von ihren seelischen Qualen ganz zu schweigen), haben Angst, dass ihre Familie sie verstößt, weil sie „befleckt“ sind. Pornofilme, die zeigen, wie Frauen sexuell gefoltert werden, drehen und produzieren weiße Männer. Und sehen höchstwahrscheinlich auch Männer, die gerne die-Jungfrauen-im-Paradies im Munde führen.

Solange nicht begriffen wird – von Männern und von Frauen, von Europäern und Nichteuropäern – dass sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung Verbrechen an der Menschenwürde und der Unversehrtheit von Frauen sind, haben Typen wie die am Kölner Hauptbahnhof leichtes Spiel.

Und Frauen: Wehrt euch, wenn euch so etwas zugemutet wird! Schreit euch die Seele aus dem Leib, brüllt, laut, wütend. Das Erfahrung zeigt: Das schreckt diese Typen ab. Das erregt Aufmerksamkeit, und die mögen sie nicht. Und die Polizisten, die „nichts bemerken“ und vielleicht zögern, sich mit dem Mob anzulegen, wenn doch „nur“ ein paar Frauen gegrabscht werden, sehen sich eher gezwungen, einzuschreiten, wenn Frauen laut und anhaltend um Hilfe schreien.

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